Vom Leben und Arbeiten in Sucre

13 09 2011

Nach 4 erlebnisreichen Wochen der Sesshaftigkeit in Sucre (Bolivien) möchte ich euch nun von meiner Zeit hier berichten, von der Stadt, den Leuten und meiner Erfahrung als Freiwillige im Kindergarten und Kinderheim.

Nach langen Überlegungen wie und wo ich voluntiere, haatte ich mich dann für Sucre entschieden, weil es hier eine Sprachschule gibt die Voluntärstellen und Unterkunft bei Familien vermittelt. Hier wohne ich nun bei Maria, einer Spanischlehrerin, die mit ihrer Schwester ein hübsches Haus gebaut hat, in dem sie, 2 weitere bolivianische Familien und 4 Gäste Platz finden. Maria liebt es, jeden Samstag ihre Sprachschüler zum Essen und anschliessenden Tanzen in ihrem geräumigen Wohnzimmer einzuladen. Das war immer sehr lustig und dadurch durfte ich nicht nur nette Leute kennenlernen, wie das Japanische Ehepaar Toshi und Kano, die insgesamt 3 Jahre reisen, oder Marias Freundin Lola, die immeer gern indeskrete Fragen stellt, sondern auch einen Teil bolivianischer Kultur.

DSCN0174Sucre liegt auf 2700m Höhe und ist eine sehr sehenswerte und lebenswerte Stadt. Es hat ein angenehmes Klima, meistens zwischen 20 und 25 Grad, viele schöne Kolonialbauten, mehrere Parks und Plätze, ist nicht zu klein und nicht zu gross, ruhig und trotzdem immer was los wenn man will, und hier leben freundliche Menschen. Das Zentrum muss man sich wie einen Kessel vorstellen, von dem aus alle Strassen bergan gehen und von oben einen tollen Blick auf die Stadt und die Berge bietet.

Die Sprachschule jedenfalls hat für mich den Kontakt zu einem staatlichen Kinderheim hergestellt, für das ich eine formelle Besuchserlaubnis von der Verwaltungsstelle brauchte. In dem Heim leben 14 Mädchen im Alter von 6 bis 13. Nicht alle von ihnen sind Waisen, einige haben noch einen oder beide Elternteile, die sich aber nicht um das Kind kümmern können oder wollen. Andere sind auch nur vorübergehend da weil es Probleme in der Familie gibt oder die Verhältnisse ungeklärt sind, drei Schwestern sind z.B. dort weil ihre Mama sie in der Wohnung eingesperrt hat. Die Mädels dürfen ausser zur Schule das Heim nicht verlassen, und auch die Eltern brauchen ein Besuchsrecht von der Verwaltung, mit dem sie dann eine Stunde bleiben dürfen. Jede von ihnen bekommt täglich Feedback über ihr Verhalten, morgens, mittags und abends werden an eine Wand hinter jeden Namen Smileys geklebt, lachende für gutes Benehmen, traurige für schlechtes Benehmen. Alle ein oder zwei Wochen bekommen die ‚Braven’ dann eine Belohnung, z.B. Haarreifen. An meinem letzten Tag durfte ich mit 5 von ihnen raus in den Park gehen, für 2 Stunden und auch erst nachdem sie hundertmal ermahnt wurden sich auch ordentlich zu benehmen. Anfangs fand ich dieses System altmodisch und ziemlich streng, aber die Erzieherin hat mir erzählt dass einige Mädchen schon mehrmals ausgerissen sind. Eine hat es sogar bis in die 12 Stunden entfernte Stadt Potosi geschafft indem sie um Geld gebettelt hat und sich davon ein Busticket gekauft hat. Da ich keine Pädagogin bin weiss ich nicht ob oder wie man es besser machen könnte. Zumindest könnte man ja einmal pro Woche mit ihnen in einem Minibus in die Natur fahren, da können sie ja schlecht ausreissen.

Auch gibt es in dem Heim kein fliessend Wasser, weil die Organisation nicht dafür zahlen will. Sie haben eine grosse Tonne auf dem Hof die täglich mit Wasser vom benachbarten Kindergarten gefüllt wird, das benutzen sie mithilfe von Eimern zum Duschen, Wäschwaschen (alle Kinder waschen ihre Sachen mit der Hand, auch ihre Bettwäsche und Handtücher!), und zum Putzen. Verstanden habe ich es nicht warum dafür kein Geld da ist, wo doch Hygiene so wichtig ist und es mit den Eimern wirklich umständlich ist. Einmal wurden sie alle ermahnt dass sie doch abends ihre Zähne putzen sollen und eine meinte sie hat Angst im Dunkeln raus zu gehen um Wasser zu holen.

Mit den Mädchen hatte ich viel Spass, wir haben zusammen Hausaufgaben gemacht (okay, das war nicht immer so spassig), gespielt, getanzt und tausende Videos mit meiner Kamera gedreht. In dem Heim war ich immer nur nachmittags, weil die meisten vormittags zur Schule gehen (die älteren gehen nachmittags oder abends). Da ich vormittags nicht rumsitzen wollte habe ich in der Zeit in dem benachbarten Kindergarten nachgefragt ob sie Hilfe brauchen. Die hatten schon ofter Voluntäre und die Kinder sind mir gleich um den Hals gefallen. Einen fand ich vom ersten Tag an besonders süss, der 3 Jahre alte Fransisco, der immer meine Nähe gesucht hat und Aufmerksamkeit wollte. Später habe ich dann erfahren dass er ohne Mama aufwächst weil sie die Familie verlassen hat und ihn nur selten besucht, deshalb braucht er viel weibliche Zuneigung.

DSCN0236Mit den Kindern haben wir vormittags erst gesungen oder getanzt, danach draussen gespielt, drinnen geknetet oder gebastelt. Danach gab’s Mittag, eine grosse Portion Suppe und danach das Segundo, die Hauptmahlzeit. Das Essen mit den Kleinen fand ich immer am anstrengendsten weil einige nicht sitzenbleiben sondern umherlaufen, andere essen wie kleine Ferkel, mit den Händen und spielen mit dem Essen oder schmieren damit auf dem Tisch rum, und wieder andere sind ganz clever und lassen das Essen unter dem Tisch verschwinden. Neulich war unter dem kleinen Leo der ganz Fussboden bedeckt mit Reis. So richtig übel nehmen konnte ich es ihm nicht, denn sie müssen immer alles aufessen, und wenn sie nicht wollen mussten wir sie füttern. Das Essen enthielt immer viele Kohlehydrate, in der Suppe war immer Reis oder andere Körner, Kartoffeln und Rindfleisch. Die Hauptspeise war auch fast immer mit Fleisch und dazu Nudeln und Kartoffeln oder Reis und Kartoffeln. Ich liebe ja Kartoffeln sehr und besonders in gekochter Form haben sie mir schon oft auf der Reise gefehlt, aber jeden Tag, und dann noch 2mal das ist zuviel!

Viele der Kinder haben auch schon mit zwei, drei Jahren schlechte Zähne. Ich vermute dass das Wissen um frühe Zahnpflege hier nicht sehr verbreitet ist, so nach dem Motto sie bekommen ja noch die zweiten. Aber auch die Erwachsenen haben oft Zahnlücken oder hässlichen Zahnersatz. Wahrscheinlich liegt’s auch an der kohlehydratehaltigen Ernährung.

Einige Kinder waren schwierig, sie waren ziemlich überaktiv und haben oft andere Kinder gärgert. Die kommen meist aus schwierigen Familien, und wachsen nur mit einem Elternteil auf. In Bolivien kommt es sehr häufig vor dass der Vater, aber auch manchmal die Mutter, die Familie verlässt. Hat eine Frau Kinder aus erster Ehe ist es schwierig mit einem neuen Mann und den Kindern zusammenzuleben. Mir wurde erklärt dass jede Familie hier wie eine eigene Einheit gesehen wird, ja wie ein anderes Leben und ein neuer Partner selten die nicht leiblichen Kinder akzeptiert. Diese werden dann abgeschoben, zu Verwandten oder in Heime.

Maria hat mir auch schon oft von der machistischen Einstellung der meisten Männer hier erzählt. Für die ist es selbstverstanedlich dass die Frau kocht, putzt, die Wäsche wäscht und sich nebenbei um die Kinder kümmert. Im Gegenzug nimmt es der Mann mit der Treue nicht so ernst und hat nicht selten eine Nebenfreundin.

Die Kinder im Kindergarten waren süss, aber viel anstrengender als die grossen. Also als Erzieherin muss man echt Nerven haben! Ständig hat irgendjemand geweint, sie haben sich gekratzt, gehauen, oder bespuckt. Meistens habe ich ja gar nicht verstanden was los war, warum sie sich streiten oder wer angefangen hat, und konnte schlecht schlichten, dann habe ich einfach zu den Streitenden gesagt ‚Das macht man aber nicht!’, dann waren sie meist schon beruhigt.

Meine Zeit hier neigt sich nun dem Ende zu und es ist ein komisches Gefühl diesen Ort und die Leute zu verlassen, nachdem ich hier ‚gewohnt’ habe. Es war schön mal wieder ein eigenes Zimmer zu haben, meine Sachen ausbreiten zu können und eine Küche zu haben. Den Arbeitsalltag hatte ich jetzt nicht so vermisst, und besonders in der ersten Woche war ich abends total fertig. Trotzdem war es schön, mal wieder eine Aufgabe zu haben. Ich freu mich aber auch auf das was kommt, auf das Reisen, neue Orte kennenzulernen, und wieder am Meer zu sein. Ein paar Tage reise ich noch im Osten Boliviens, dann geht’s rüber nach Brasilien. Von dort nach Rio de Janeiro und dann an der Küste entlang über Uruguay nach Argentinien. Am 30.10. muss ich in Buenos Aires sein, dann geht’s nach Hause!

Bis bald ihr Lieben, viele Grüsse nach Hause! Die Fotos findet ihr rechts unter Bolivien – Sucre Volunteering



Aktionen

Informationen

2 Antworten zu “Vom Leben und Arbeiten in Sucre”

  • klaus jordan sagt:

    LIEBE TINA !

    wie immer werden deine berichete

    sehnsuechtig erwartet und gleich gelesen.

    dein papa

    (eigenhändig von deinem vater getextet und geschrieben) toll waaaaaaaaaa….

  • edda jordan sagt:

    liebe tina !
    wie immer werden deine berichte sehnsuechtig erwartet und gleich gelesen,

    dein papa

Schreib einen Kommentar

Du kannst diese Tags verwenden : <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>